In letzter Zeit wird immer öfter über Crowdsourcing, User Generated Content (UGC) oder Volunteered Geographic Information (VGI) diskutiert – in der Geo-Szene oftmals am Beispiel von OpenStreetMap (OSM), wie etwa in dieser Diskussion auf geowebforum.ch. Wir haben an jenem Thread auch teilgenommen, ich möchte aber die Gelegenheit nutzen und hier nochmals etwas vertiefter auf Crowdsourcing eingehen, und speziell auf die Möglichkeiten, welche sich für öffentliche Verwaltung eröffnen.
Einleitung
Der Begriff Crowdsourcing ist definiert als das Auslagern einer Tätigkeit zu einer grossen Gruppe von Leuten (vgl. zum Beispiel Jeff Howe (2006)). Durch die Möglichkeiten des interaktiven Web 2.0 ist Crowdsourcing einfacher zu realisieren als noch vor wenigen Jahren. Die Crowd bzw. Community generiert sogenannten User Generated Content. Im „geographischen Web 2.0“ – dem Geoweb – spricht man auch von Volunteered Geographic Information (VGI). Die Verbreitung von Crowdsourcing im Geoweb wird unter anderem dadurch gefördert, dass immer mehr Leute GPS-fähige Geräte wie zum Beispiel Smartphones benutzen.
Bestandteile von Crowdsourcing
Wir identifizieren in Crowdsourcing-Projekten fünf entscheidende Elemente (siehe Abbildung 1):
- Beitragende: Wer sind die Beitragenden? Was ist ihre Motivation?
- Fragestellung: Welcher Auftrag wird den Beitragenden erteilt? Welche Daten werden erhoben?
- Koordination: Wie wird die Community der Beitragenden koordiniert und motiviert?
- Integration: Wie werden Daten aus Crowdsourcing in herkömmliche Daten integriert?
- Betreibende: Wer sind die Betreibenden einer Crowdsourcing-Lösung?
Beispiele
Crowdsourcing wird bereits in verschiedenen Bereichen operativ eingesetzt:
- bei nicht-kommerziellen Privaten (z.B. OpenStreetMap, GeoNames, Geograph),
- bei kommerziellen Pivaten (z.B. GPS-Hersteller, Google Map Maker und Building Maker) sowie
- bei öffentlichen Verwaltungen (z.B. Vermessungs- oder Umweltämter).
Die öffentlichen Verwaltungen benutzen Crowdsourcing für verschiedene Aufgaben:
- bei der Detektion von Änderungen in Karten (z.B. digitaler Revisionsdienst der Swisstopo),
- beim Sammeln von Daten oder Informationen (z.B. „Did you feel it?“ des US-Erdbebendiensts) oder
- bei der Erfindung neuer Produkte oder Anwendungen (z.B. GeoVation Challenge des Ordnance Survey).
Im selben Umfeld sind auch viele der sogenannten Citizen Science-Ansätze angesiedelt, die – anders als reines Crowdsourcing – eine gewisse Vorbildung der Community benötigen (z.B. GLOBE, Ornitho.ch der Vogelwarte Sempach oder Erfassung von Neophyten im Kanton Zürich).
Mitunter am spannendsten für öffentliche Verwaltungen sind aber die Public Participation-Ansätze, mit denen „Anliegenmanagement“ betrieben werden kann. Dabei erhalten die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, sich zu äussern und mit der Verwaltung zu interagieren (z.B. FixMyStreet (GB), Unortkataster (D) oder MapDialog (CH)).
Erkenntnisse und Herausforderungen
Unsere Erfahrung mit Crowdsourcing-Aktivitäten zeigt uns, dass Crowdsourcing ein spannender Ansatz ist für öffentliche Verwaltungen. Allerdings gibt es einige Punkte im Spannungsfeld von Chancen und Risiken zu beachten (siehe Abbildung 2):
Für alle angesprochenen Herausforderungen bestehen Mittel sie zu meistern.
Beispielsweise können für Geodaten aus Crowdsourcing Qualitätssicherungsmassnahmen eingesetzt werden, welche eine angemessene Güte sicherstellen.
Bei Aufbau oder Bindung einer Community ist zu beachten, dass nur Fragestellungen an eine Community herangetragen werden sollten, für die in der Community auch bereits ein Interesse besteht.
Weiter empfehlen wir für den Unterhalt einer Community die Verpflichtung eines Community-Managers, der auch Beiträge moderieren kann. Bei manchen Crowdsourcing-Projekten übernehmen Beitragende Teilaufgaben des Community-Managements, z. B. werden erfahrene Beitragende zu Moderatoren. Mit einem gezielten Management (zum Beispiel durch „Offline-Anlässe“) kann auch die Zusammensetzung der Community beeinflusst werden.
Crowdsourcing ist ein dynamisches Spielfeld mit Risiken aber auch grossen Chancen, gerade für Verwaltungen. Wenn Erfassung oder Nachführung von Datenbeständen nicht sinnvoll oder zu gewagt erscheint, kann das Einholen von Feedback oder das Sammeln von Ideen von der „Crowd“ ein geeigneter erster Schritt sein, um im Crowdsourcing Fuss zu fassen und Erfahrungen beim Aufbau einer Community zu sammeln. Solche Efforts fügen sich gut in bestehende Social-Media-Aktivitäten ein oder können Anlass sein, solche aufzubauen.
Bei Beachtung der Spielregeln und mit einem glaubhaften Engagement seitens der Betreibenden profitieren beide Seiten, Betreibende und Beitragende, von Crowdsourcing.
Wenn Sie gerne mehr über Crowdsourcing allgemein oder mehr über Möglichkeiten erfahren möchten, Crowdsourcing oder Daten aus Crowdsourcing in Ihrer Organisation einzusetzen, nehmen Sie doch mit mir Kontakt auf.
(Update: 31.01.2012)
Hallo Ralph,
ein interessanter Beitrag. Gerade beim letzten Punkt („einfach mal Kontakt mit der Community aufnehmen“), kann ich als OpenStreetMapper nur unterstreichen. Die meisten Leute reagieren außerordentlich positiv, wenn ein Amt o.ä. auch nur erst einmal fragt um näheres zu erfahren und nicht verpflichtende Ideen in den Raum zu stellen. Naturgemäß sind die meisten Projekte für Außenstehende doch ein wenig chaotisch (oder sagen wir besser, zu dynamisch und zu unorganisiert 😉 ), so dass es evtl. schwer fällt erst einmal Kontakt herzustellen. Da kann man einfach bei größeren Plattformen (bei OSM entsprechend z.B. das Forum) nutzen, andere vermitteln das dann schon weiter. Mit dem http://www.netzpolitisches-bier.de was in immer mehr Städten aufkommt, wird gerade probiert dies Projektübergreifend für Politiker und Behörden zu realisieren.
Die Risiken sehe ich nach einigen Jahren Beobachtung des Projektes eine wenig gelassener. Ich bin mit 28 definitiv einer der jüngeren Mitglieder, nicht wenige sind Wanderer/Radfahrer in höherem Alter. Generell gilt, dass die Leute mitmachen möchten (aber eben auch einbezogen werden möchten und wichtige Arbeit verrichten wollen), Störaktionen oder Vandalismus sind sehr sehr selten. Als Amt da einfach mutig sein, denn man kann viel mehr daraus mitnehmen, als die schlichte Arbeitsleistung 🙂
Hallo Ralph,
Bei nautischen Seekarten machen wir bisher gute Erfahrungen.
Deshalb wagen wir uns jetzt an das Projekt „Erfassung von Flachwassertiefen“.
Behörden sind zunehmend neugierig.
Im Landbereich gabs vor zwei Jahren ein Pilotprojekt von OSM und dem Freistat Bayern, bei dem Luftbilder erfolgreich digitalisiert wurden. Daraus erwuchs die Freigabe der gesamten Luftbilder von Bayern (allerdings in noch etwas grober Auflösung).
Markus
Lieber !i! und lieber Markus
Erstmal vielen Dank für Eure Rückmeldungen. Es freut mich natürlich, dass meine Ausführungen bei zwei Vertretern der Community positives Echo erzeugt haben (bzw. drei: http://www.orgismus.de/daten/crowd-sourcing-was-ist-das-eigentlich).
Es ist schon spannend zu sein, wie sich der Crowdsourcing-Gedanke verbreitet hat und sich weiter verbreitet. Mit Markus haben wir ja einen Vertreter von OpenSeaMap (Seekarten) in den Kommentarspalten. Daneben gibt es noch weitere „Ableger“ von OpenStreetMap wie zum Beispiel OpenCycleMap (Fahrrad), OpenMTBMap (Mountain Bike) oder OpenWalkMap (Wandern) und natürlich zahlreiche weitere, ähnliche Initiativen wie OpenAddresses (Adressen), OpenDEM (Höhenmodelle) oder OpenAerialMap (Luft-/Satellitenbilder, im Moment inaktiv)
Für eine Diskussion der möglichen Risiken (ausführlicher als hier) verweise ich auf diesen Thread im Schweizer Geowebforum: http://www.geowebforum.ch/thread.php?threadID=1004 [in Englisch].
Mein Eindruck ist wie jener von !i!, dass eigentlicher Vandalismus bei OSM selten auftritt und wenn dann auch relativ schnell entdeckt und dank der Changesets behoben wird. In einigen Ländern (zum Beispiel Grossbritannien als Geburtsland von OSM) kann aber beobachtet werden, dass soziodemographisch unterschiedliche Gebiete verschieden gut kartographisch erfasst werden. Je nach Verwendungszweck kann das ein „Showstopper“ sein.
Schliesslich hier für Interessierte noch der Link auf das von !i! erwähnte und als Einstiegspunkt geeignete OSM Forum: http://forum.openstreetmap.org
In der Reihe FixMyStreet und Unortkataster würde ich gern noch den „Maerker“ http://maerker.brandenburg.de/ für teilnehmende Kommunen in Brandenburg erwähnen. Die Verwaltungsmitarbeiter antworten hier direkt auf die Einträge, so dass die Bürger verfolgen können, ob und wie an Probleme abgearbeitet werden.
Lieber Hermann
Vielen Dank für Deinen Beitrag. In der Tat sieht Maerker interessant aus. Die Nachverfolgbarkeit von Anliegen ist bei solchen Portalen sehr wichtig (so dass die Leute sehen, dass dank der Meldungen etwas getan wurde, und sich auch darüber informieren können, was genau getan wurde). Das ist bei Maerker gut gelöst:
http://maerker.brandenburg.de/lis/list.php?page=maerker&sv%5Bkommune%5D=226429
Hallo,
bei OSM wird das behördenseitige Interesse am Projekt stets beobachtet, wie man hier auch sehr gut sehen kann:
http://wiki.openstreetmap.org/wiki/DE:OSM_Internet_Links#Beh.C3.B6rden_.2F_Kommunen
Schließlich bin ich auch über einen Hinweis im OSM-Blog auf deinen Beitrag hier gestoßen.
Ich muss allerdings an dieser Stelle kritisch anmerken, dass mir das Aufführen der verwendeten Quellen wesentlich zu kurz gekommen ist. Damit meine ich nicht vorrangig die Zitierung von allen Begrifflichkeiten (wie Geoweb, Web 2.0,…). Das sollte man zwar machen, aber dann wäre bei der Vielzahl der Begriffe, der Beitrag doppelt so lang geworden. Aber so ein Satz – „Der Begriff Crowdsourcing ist definiert als das Auslagern einer Tätigkeit zu einer grossen Gruppe von Leuten.“ – braucht doch dringend eine Angabe des Ursprungs, oder?
Dadurch weiß ich jetzt überhaupt nicht ob die Abbildungen alle von dir sind, oder wo stammen die her? Die gefallen mir nämlich echt ganz gut!
Beste Grüße
Ralf
Hallo Ralf
Vielen Dank erstmal für Dein Interesse und Deinen Kommentar.
Wie Du richtig schreibst, wäre mit umfangreichem Zitieren der Beitrag deutlich länger und komplexer geworden. Ich gebe Dir gerne mehr Literatur, wenn Dich ein Bereich speziell interessiert.
Die Definition von Crowdsourcing ist mit Jeff Howes Artikel in Wired aus dem Jahr 2006 hinterlegt. Die Referenz zum Artikel habe ich als Link eingefügt, der geöffnet wird, wenn man im Satz auf das Wort „Crowdsourcing“ klickt. Leider wurde der Link in WordPress verstümmelt, er sollte natürlich nicht
http://geo.ebp.ch/2012/01/24/chancen-und-risiken-von-crowdsourcing-fur-die-offentliche-verwaltung/www.wired.com/wired/archive/14.06/crowds.%20html
lauten, sondern
http://www.wired.com/wired/archive/14.06/crowds.html
– das ist nun auch korrigiert.
Und ja, die Abbildungen stammen von mir.
Hallo Ralph,
danke für die prompte Antwort.
Damit hat es sich für mich schon wunderbar geklärt. Die Originalreferenz von Howe ist bisher voll an mir vorbei gegangen, dafür schon mal vielen Dank!
Beste Grüße
Sehr gut, freut mich.