Update August 2014: Die im Folgenden beschriebene flächenhafte Berechnungsmethode können Sie jetzt auch in ihren Projekten einsetzen: Unter walkalytics.com finden Sie unser weiterreichendes Angebot für fussgängergerechte Distanzen und darauf aufbauende Analyse. Auch weiterhin beantworten Stephan Heuel und ich gerne Ihre Fragen.
Vom Zirkel …
Die Erschliessung mit dem öffentlichen Verkehr ist in der Raumplanung und insbesondere bei der Wahl eines Standorts von grosser Bedeutung. Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) hat im Jahr 2010 einen Grundlagenbericht veröffentlicht, der das Thema Erschliessung und Erreichbarkeit in der Schweiz untersucht. Ein wichtiges Instrument zur Operationalisierung der Erschliessung sind die sogenannten ÖV-Güteklassen: Zur Ermittlung dieser Güteklassen werden Haltestellen gemäss ihrer Fahrplanfrequenz kategorisiert und die Güteklasse in bestimmten Einzugsbereichen um die Haltestelle entsprechend festgelegt. Die Güteklassen beruhen auf der VSS Norm 640 290 und werden je nach Kanton oder Bund zum Teil unterschiedlich umgesetzt (eine neuere Norm (SN 640 281) existiert, wird aber noch kaum implementiert). Das ARE hat ihre Berechnungsmethode in einem PDF dokumentiert, der Kanton Zürich hat kürzlich seine Ergebnisse mit erweiterter Methodik im neuen GIS-Browser veröffentlicht:
Wenn man die Ergebnisse des Kantons Zürich und des ARE betrachtet, stellt man fest, dass die Erschliessung um die Haltestellen in konzentrischen Kreisflächen abgebildet wird. Diese Flächen bilden aber bei weitem nicht die wirkliche Fussgängermobilität ab: Fehlende Fusswege, Flüsse und Autobahnen entgehen diesen Analysen, sind aber für die tatsächliche Erschliessung „per pedes“ essentiell.
… zur tatsächlich zurückgelegten Distanz
Es geht aber auch genauer: Wir haben einen rasterbasierten Ansatz entwickelt, der es uns erlaubt, Fussgängermobilität flächendeckend zu modellieren. Für ein Beispiel wurde uns vom ARE ein Datensatz mit den Erschliessungskategorien (1-5) von ÖV-Haltestellen zur Verfügung gestellt (danke!). Wir haben uns bei der Berechnung auf fünfzig Haltestellen im Raum Bern-Ittigen beschränkt. Für die Ermittlung der ÖV-Güteklassen mit Distanzen gemäss ARE haben wir die Distanzen nicht – wie es die Methodik des ARE vorsieht – „mit dem Zirkel“ abgetragen, sondern als Fussgängerdistanzen mit unserem Ansatz modelliert. Den Vergleich der beiden Methoden sehen Sie in der folgenden Abbildung:
Es fallen einem sofort Unterschiede ins Auge, welche auf unserer realistischeren Berechnungsmethodik basieren:
An Stelle (1) in der Karte sieht man sehr schön, dass unsere ÖV-Güteklassen sich nicht wie jene gemäss offizieller Methodik über die Aare hinweg erstrecken. Es gibt an diesem Ort keine Brücke: man müsste sich also die Füsse nassmachen.
An den Stellen (2) und (4) sieht man sehr gut, wie sich die ÖV-Güteklassen bei unserer Berechnungsmethode bevorzugt entlang Fusswegen und Strassen ausbreiten, eben dort, wo sich Fussgänger bequem entlangbewegen können. An Stelle (2) ist die „Reichweite“ der realistischeren ÖV-Güteklassen gegenüber dem ARE-Ansatz deutlich eingeschränkt, so dass eine „Abdeckungslücke“ entsteht, welche beim offiziellen Datensatz nicht vorhanden ist.
An Stelle (3) schliesslich ist ein ähnliches Phänomen bei einer Eisenbahnlinie ersichtlich wie an Stelle (1) mit der Aare: die ÖV-Güteklassen bereiten sich nur an jenen Stellen über das Eisenbahntrassee Thun-Bern aus, wo ein Übergang oder eine Unterführung besteht, ansonsten wirkt das Trassee zurecht als Fussgänger-Barriere.
Etwas Hintergrund
Unsere Methode funktioniert so überzeugend und in der Fläche, weil wir Mobilität nicht auf Netzwerken modellieren sondern flächenhaft, indem wir unterschiedliche Flächentypen bezüglich ihrer „Fussgänger-Freundlichkeit“ bewerten. Das ist sinnvoll, weil wir uns als Fussgängerinnen und Fussgänger nicht wie im Auto auf fest vorgegebenen Wegen bewegen müssen. Die Daten können aus OpenStreetMap (OSM) stammen oder aber auch aus anderen Quellen wie etwa der Amtlichen Vermessung.
Beispielsweise gibt es keine festen Wege im Zürcher Hauptbahnhof. In öffentlichen Pärken gibt es zwar Wege, diese werden aber nicht immer benutzt: stattdessen kreieren die Menschen Abkürzungen, die sogenannten desire paths.
Auf Wunsch kann in unserer Modellierung sogar auch noch die Topographie (Bergauf- und Bergabgehen) mitberücksichtigt werden. In der Berechnungsmethodik für ÖV-Güteklassen wird dieser Faktor nur subjektiv miteinbezogen.
Haben die Möglichkeiten der Fussgängermodellierung Ihr Interesse geweckt? Haben Sie eine Fragestellung, für die Sie mehr über die fussgängige Erreichbarkeit wissen möchten? Stephan Heuel und ich beantworten gerne Ihre Fragen.
2 Gedanken zu „Wie gut ist ein Standort mit Bahn und Bus erschlossen?“
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