Mit dem Aufkommen von günstigen Sensoren und Vernetzungstechnologien, smarten Echtzeitsystemen und „Analytics Engines“ sind Daten und darauf aufbauende Modellierungen und Algorithmen vielleicht noch nicht zu Haushaltsbegriffen, aber doch prominenter geworden. In diesem Feld kommt in jüngster Zeit auch noch der Begriff „Digitaler Zwilling“ oder „Digital Twin“ dazu. Was hat es damit auf sich?
Smarte Systeme
Günstige Sensoren messen an immer mehr Orten Daten. Diese werden – oft in Echtzeit – vorverarbeitet und dann mittels zunehmend kostengünstigen Vernetzungstechnologien an ein smartes System übermittelt. Dort bilden sie – zum Beispiel zusammen mit historischen Daten derselben Messreihe oder weiteren (unabhängig gemessenen) Daten – die Grundlage für möglichst optimale Entscheidungen:

Diese grundsätzlichen Bausteine und Abläufe kennt man aus diversen smarten Systemen, sei es:
- ein Assistenzsystem in einem Fahrzeug, das aufgrund von Lidar-, Radar– oder Bilddaten den Abstand zum vorherfahrenden Fahrzeug ermittelt und Warnungen oder Verzögerungsmassnahmen auslösen kann
- ein Qualitätssicherungssystem einer Produktionsstrasse in einer Industriebäckerei, das mit optischen Sensoren das Backgut und mit Vibrationssensoren die Laufruhe der Maschinen kontrolliert oder
- ein Smart City-Modul, welches die von in der Stadt verteilten Sensoren gemessene Luftqualität plausibilisiert, mit Vergleichswerten in Beziehung setzt und die Resultate für die Smart City-Managerin in einem Dashboard visualisiert.
Digitaler Zwilling
Ein Digitaler Zwilling erweitert das Konzept smarter Systeme: In seiner einfachsten Form ist ein Digitaler Zwilling eine digitale Repräsentation – ein software avatar (Datta, 2016) – eines Objekts oder eines Systems mitsamt seiner Eigenschaften und Wirkungszusammenhänge. Dank in Echtzeit ankommender Datenströme aus am echten System eingesetzten Sensoren kann ein Digitaler Zwilling sich jederzeit synchron halten und den aktuellen Status und Zustand des echten Systems visualisieren.
Ein Operateur kann mit dem Digitalen Zwilling auf unterschiedliche Arten interagieren:
- Messwerte zum Zustand verschiedener Komponenten des Systems anzeigen lassen (Monitoring),
- einen Steuerbefehl an das System absetzen (Control),
- Szenarien und What if-Analysen durchspielen, indem er eine Komponente verändert und anhand der im Digitalen Zwilling hinterlegten Wirkungszusammenhänge und Prozesse untersucht, wie sich die Veränderung auf den Zustand des echten Systems auswirken würde (Simulation) oder
- Erkenntnisse aus dem Digitalen Zwilling ziehen, wie ein System optimal konzipiert, erstellt, unterhalten und betrieben werden kann (Optimierung).
Erst mit dem Aufkommen des Internet of Things (IoT) und den oben beschriebenen Trends zu mehr, detaillierteren, günstigeren und „schnelleren“ Daten ist das Konzept des Digitalen Zwillings richtig populär geworden.
… in Smart Cities
Mittlerweile geht das Konzept des Digitalen Zwillings aber weit über das angestammte Territorium des „klassischen“ IoT und der konzeptionell damit verbundenen (Fertigungs-)“Industrie 4.0″ hinaus. Digitale Zwillinge werden inzwischen:
- gemäss dem Building Information Modeling-Ansatz (BIM) für Gebäude,
- im Smart City-Paradigma für gänze Städte oder auch
- für die Modellierung von Organisationen (Digital Twin of an Organization (DTO); Monteith, 2019)
genutzt. Dabei handelt es nicht um rein physische, sondern, insbesondere im Fall von Städten und Organisationen, (auch) um soziale Systeme, die deutlich komplexer sind als Fertigungsstrassen der Industrie 4.0.
Eine zentrale Herausforderung bei der Betrachtung solcher Systeme ist die Auswahl und Konzeption der im Digitalen Zwilling abzubildenden Prozesse und damit der Simulations- und Optimierungsmöglichkeiten. Letztere heben den Digitalen Zwilling von einem „blossen“ statischen Modell der Realität ab. Ein mögliches Vorgehen ist die mit „Process Mining“ (van der Aalst et al., 2012; Kerremans, 2019) unterstützte Prozessanalyse. Unabdingbar ist dabei natürlich das entsprechende Domain Knowledge, aber auch dessen interdisziplinäre Verknüpfung und schliesslich Digitalisierung.
Header-Bild: 3D-Stadtmodell von Genf, SITG