Im Zug der fortschreitenden Digitalisierung werden Echtzeitsysteme immer wichtiger. In einer siebenteiligen Blogserie beleuchten wir diese aus unterschiedlichen Perspektiven:
- Teil 1: Sensoren
- Teil 2: Netzwerk-Kommunikation
- Teil 3: Unternehmensdaten
- Teil 4: Externe Daten
- Teil 5: Datenhaltung und -management
- Teil 6: Datenanalysen
- Teil 7: Informationssicherheit und Datenschutz (ISDS)
Sie lesen aktuell Teil 2 zu Netzwerk-Kommunikation.
In Echtzeitsystemen stellt die Netzwerk-Kommunikation die Übermittlung von Informationen sicher. Wie der Ausdruck «Echtzeitsysteme» bereits impliziert, hat der Faktor Zeit eine hohe Bedeutung, sowohl bei der Übermittlung, als auch bei der Verarbeitung und anwendungsspezifischen Aufbereitung von Informationen. Je nach Anwendungskontext kommen verschiedene Übertragungstechnologien in Frage, wie zum Beispiel 3G, 4G, 5G, LoRaWAN oder Bluetooth. Im vorliegenden Beitrag werden die verschiedenen Übertragungs-Standards der Netzwerk-Kommunikation und Ihre Einsatzgebiete näher beleuchtet.
Kommunikation benötigt Zeit
Zunächst ist es wichtig zu erkennen, dass Informationen innerhalb eines Echtzeitsystems von der Quelle bis zur Nutzerin oder zum Nutzer mehrere Übertragungsstrecken durchlaufen. Im einfachsten Fall ist es die Übermittlung z.B. von Informationen eines Sensors an eine zentrale Informationsverarbeitung (z.B. in der Cloud), und anschliessend die Übermittlung der aufbereiteten Informationen zu den Nutzerinnen und Nutzern oder zu einem gesteuerten Objekt.
Jede Kommunikationsstrecke im System benötigt Zeit und verursacht dadurch eine zeitliche Verzögerung (allgemein als «Latenz» bezeichnet). Bei der Konzeption eines Echtzeitsystems ist es daher wichtig, neben der eigentlichen Informationsverarbeitung auch die Grössenordnung der durch die Netzwerk-Kommunikation versursachten Latenz zu kennen. Je nach räumlicher Distanz kann die Netzwerk-Kommunikation nämlich bereits einen signifikanten Anteil der Latenz des Gesamtsystems ausmachen. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die Daten innerhalb eines Netzwerks weite Strecken zurücklegen müssen, völlig unabhängig von der eigentlichen, zentralen Informationsverarbeitung.
Dieser Punkt lässt sich anhand eines sehr einfachen und bekannten Echtzeitsystems, nämlich der Telefonie, gut veranschaulichen: Bei einem Ferngespräch via Satellit mit jemandem in Südamerika liegt die Latenz bei rund einer Viertelsekunde für den Hinweg und ebenso lange, bis die Antwort gehört wird. Allein durch die räumliche Distanz ergibt sich somit eine gesamte Latenz von rund einer halben Sekunde, ganz unabhängig von der eingesetzten Technologie (Festnetz, Mobil, analoge oder IP-Telefonie).
Drahtlose Kommunikation: Immer ein Kompromiss
In einer idealen Welt gäbe es in der drahtlosen Kommunikation keine Einschränkungen. Es könnten mit minimalem Energieaufwand (kleine Sendeleistung, hohe Batterielaufzeit) beliebig viele Daten über beliebig hohe Reichweiten übertragen werden, egal welche Frequenz ein Kanal belegt. Zudem würde das Übertragungsmedium ein beliebig breites Frequenzspektrum zur Verfügung stellen, sodass beliebig viele Kanäle nebeneinander möglich wären, ohne sich gegenseitig zu stören. Und es gäbe keine störenden Latenzen, die das Echtzeitsystem verlangsamen.
Die reale Welt ist allerdings anders und eigentlich sogar spannender. Denn es ist eine interessante Herausforderung, den stetig steigenden Bandbreitenbedarf mit den physikalischen Einschränkungen des Übertragungsmediums Luft bzw. Vakuum unter einen Hut zu bringen. Entsprechend wurden und werden weiterhin je nach Anwendungsfall passende Funkstandards entwickelt. Sie bilden für den jeweiligen Anwendungsfall den bestmöglichen Kompromiss aus Bandbreite, Frequenz, Energieaufwand und Reichweite. Die folgenden Zusammenhänge verdeutlichen die Notwendigkeit solcher Kompromisse:
- Je höher die Datenrate der Nutzdaten, desto höher die erforderliche Kanalbandbreite
- Je höher die Kanalbandbreite, desto höher die erforderliche Frequenz des Kanals
- Je höher die Frequenz des Kanals, desto geringer die Reichweite bei gegebener Sendeleistung
- Je höher die Sendeleistung, desto geringer die spektrale Effizienz, d.h. dieselbe Frequenz belegt ein grösseres geografisches Gebiet und kann innerhalb dieses Gebiets nicht von anderen Funksystemen genutzt werden
Der ungünstigste Fall wäre demnach eine flächige Funkübertragung hoher Datenraten (> 1 Gbit/s) über eine hohe Distanz (>100 km). Mit Ausnahme von Richtfunksystemen existieren aber für das Internet of Things (IoT) und Echtzeitsysteme aus naheliegenden Gründen keine solchen Funkstandards.
Die nachfolgende Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen ungefährer Nutzdatenrate und erzielbarer Reichweiten für einige bekannte Funkstandards:
Die Grafik zeigt schön: Funkstandards, mit hohen Datenraten ab 1 Mbit/s bieten nur geringe Reichweiten (WLAN, Bluetooth 4, ZigBee), während bei tiefen Datenraten, d.h. im Bereich von einigen kbit/s, Reichweiten über 100 km erreicht werden können (LoRaWAN). Als Mittelding dazwischen liegen die Mobilfunkstandards der 3. bis 5. Generation (3G, 4G und 5G). Hier sind mittlere Datenraten theoretisch bis in den Kilometerbereich übertragbar. Dies funktioniert aber nur unter idealen Bedingungen in ländlichen Regionen. Bei den hohen Datenraten aus der Werbung ist in der Praxis oft nach einigen hundert Metern Schluss und das System regelt die Datenrate automatisch ab.
Was eignet sich nun für Echtzeitsysteme und IoT?
Die Hauptanforderungen an ein Funksystem für Echtzeitsysteme und IoT sind einigermassen naheliegend:
- geringe Latenz für Echtzeitfähigkeit
- geringer Energieverbrauch für lange Batterielaufzeiten
- geringer Bandbreitenbedarf für optimale Spektrumseffizienz
- hohe Zuverlässigkeit (Störungsresistenz)
- mittlere bis hohe Reichweiten für flächendeckende Vernetzbarkeit
Für Echtzeitsysteme und IoT konkurrieren mehrere Funksysteme, die die genannten Anforderungen teilweise erfüllen können. Die einen entstammen den Mobilfunkstandards, teilweise sind es proprietäre Systeme (die aber bei genügender Durchdringung einen De Facto-Standard bilden könnten) und teilweise sind es bekannte Funksysteme, die ursprünglich für den lokalen Internetzugang entwickelt wurden. Einen einheitlichen Funkstandard für alle Echtzeit-Anwendungen wird es allerdings kaum je geben. Aktuell lassen sich die in Frage kommenden Funksysteme in die folgenden 3 Kategorien unterteilen:
- Funksysteme für kurze Reichweiten
- Funksysteme für mittlere Reichweiten
- Funksysteme für mittlere bis hohe Reichweiten; speziell für IoT-Anwendungen
Diese Funksysteme werden im Folgenden kurz genauer beschrieben.
Funksysteme für kurze Reichweiten
Diese Systeme eignen sich für den Nahbereich und lokale Netze, z.B. innerhalb von Gebäuden. Zweck ist die Überbrückung der kurzen Distanz zwischen einem Sensor oder einem zu vernetzenden Gerät zum nächstgelegenen Internetanschluss. Wegen der kurzen Distanz sind höhere Datenraten möglich, allerdings befinden sich die Funkkanäle auf Frequenzen, die parallel von beliebigen anderen Anwendungen genutzt werden dürfen, d.h. es ist auch mit Störungen zu rechnen. Einige typische Vertreter sind:
- WLAN; dank lokaler Vernetzung für den Internet-Zugang praktisch überall verfügbar
- Bluetooth; vielseitig verwendbar und auch in einer energiesparenden Ultra-Low-Energy-Variante vorhanden
- ZigBee; wachsende Verbreitung in der Gebäudeautomation, allerdings viele proprietäre Substandards
- DECT; bekannt durch die drahtlose Telefonie zuhause, eignet sich aber auch für IoT
Funksysteme für mittlere Reichweiten
Dies sind die klassischen Mobilfunksysteme. Sie haben eine hohe Netzabdeckung und erreichen viele Sensoren oder Geräte sowohl im stationären Bereich als auch im beweglichen (mobilen, fahrenden) Bereich. Die nutzbaren Datenraten sind mittel bis hoch, allerdings sind auch der technische Aufwand und der Energiebedarf erhöht. Die Indoor-Versorgung ist nicht überall gewährleistet. Zudem ist die Nutzung mit Kosten verbunden. Insgesamt sind die Mobilfunksysteme daher nur bedingt für Echtzeitsysteme und IoT geeignet. Die bekannten Vertreter sind:
- 2G (GSM) mit den Datenstandards GPRS und EDGE → in der Schweiz bei Swisscom Ende 2020 abgeschaltet
- 3G (UMTS) mit den Datenstandards HSPA und HSPA+
- 4G (LTE) mit den Datenstandards LTE-A und LTE-AP
- 5G
Um Frequenzen für 5G freizumachen, wird 2G (GSM) in den nächsten Jahren global abgeschaltet. In der Schweiz war dies Ende 2020 der Fall. Ebenso werden auch einzelne 3G-Frequenzen abgeschaltet.
Der 5G-Standard soll sich gemäss Werbeversprechungen aufgrund der angestrebten niedrigen Latenz sehr gut für Echtzeitsysteme eignen, insbesondere für künftige selbstfahrende Fahrzeuge. Solche Aussagen sind jedoch mit Vorsicht zu geniessen. Denn der grössere Latenz-Anteil von Echtzeitsystemen liegt in der Regel sowieso in der Cloud (zentrale Datenverarbeitung, Internet), nicht im Funksystem.
Funksysteme für mittlere bis hohe Reichweiten; speziell für IoT-Anwendungen
Es handelt sich hierbei um besonders energieeffiziente und kostensparende Mobilfunksysteme, die gemäss den Anforderungen für Echtzeitsysteme und IoT entwickelt wurden. Es sind teils proprietäre Systeme, und teils Derivate des 4G-Mobilfunkstandards. Sie benötigen nur geringe Kanalbandbreiten und bieten daher auch nur geringe Übertragungsraten. Dafür bieten sie mittlere bis hohe Reichweiten – bei freier Sichtverbindung bis 100km. Der Energiebedarf ist äusserst gering und ermöglicht Batterielaufzeiten der Funkmodule von mehreren Jahren. Ähnlich wie bei den Mobilfunksystemen ist die Nutzung ebenfalls mit Kosten verbunden, da die Netze privatwirtschaftlich betrieben werden. Einige typische Vertreter sind:
- LoRaWAN; Long Range WAN (offener Standard)
- NB-IoT; Narrow-Band IoT, ein Derivat von LTE (Cat-NB1)
- UNB (Sigfox); Ultra-Narrow-Band Modulation
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