User haben meist ein ganz bestimmtes Ziel, wenn sie ein digitales Produkt nutzen: Sie möchten ein Formular für die Steuererklärung ausfüllen, an einer Videokonferenz teilnehmen oder sie suchen nach einer Information. Sie haben also eine Aufgabe, die sie abschliessen möchten. Die Apps oder Webseiten, die sie verwenden, kommen ihnen dabei nicht selten in die Quere.
Das Problem hat man mittlerweile erkannt und User Experience ist in aller Munde: UX-Research, UX-Architektur, UX-Design, … Aber wenn man schon so viel Aufwand betreibt, ein Produkt nutzerfreundlich zu gestalten, warum kommt kaum jemand auf die Idee, sich Gedanken zum Text zu machen? Wohin das führt – oder eben nicht – zeigen gleich mehrere Beispiele:
Einstieg verpasst
Einer unserer Kunden bietet auf seiner Webseite eine Downloadfunktion für Geodaten an. Da es hier immer wieder zu Fragen kam, sollte unser UX-Team den Userflow überarbeiten und den Downloadprozess vereinfachen. Unsere UX-Designerin erstellte einen ersten Prototyp, den wir in einem Usertest überprüften.
Der Test offenbarte: Bereits auf der Startseite lag das erste Problem. Die sollten wir gemäss Kunde jedoch gar nicht anfassen.
Die Startseite bot den Usern vier Kacheln mit unterschiedlichen Zugängen zu den Geodaten. Jedoch verstanden die Testpersonen nicht, was der Unterschied zwischen den vier Kacheln ist. Bilder und Beschriftung waren zu wenig eindeutig, selbst für Fachpersonen. Auf der Startseite bereits der erste Frust.
Unser Vorschlag für eine minimale Überarbeitung der Startseite sah so aus: Text reduzieren; klare Begriffe; weniger Jargon; Linkbeschriftungen, die dem User Hinweise geben, wohin sie führen; sowie Bilder, die den Text unterstützen.
Das Beispiel zeigt: Wenn die User nicht beim ersten Lesen verstehen, was sie machen müssen, nutzt auch das beste UX-Design des nachfolgenden Prozesses nichts.
Und genau darum geht es beim UX-Writing: Mit möglichst eindeutigen Begriffen und Hinweistexten die User dorthin führen, wo sie hinmöchten. Die User sollen sich zu keinem Zeitpunkt unsicher fühlen. Sie sollen immer verstehen, was der nächste Schritt zu ihrem Ziel ist und welche Auswahlmöglichkeiten sie haben. Das vermeidet Frust und Fehler.
Für diejenigen, die Texte für eine App oder Webseite schreiben, bedeutet das: Wir müssen uns darüber bewusst sein, woher die User kommen und wo sie hinwollen. Das heisst, den Kontext beachten.
Da steht noch «Lorem Ipsum», kannst du mal schnell…?
Aber wer schreibt eigentlich die Texte in digitalen Produkten? Leider wird gerade die Short- und Microcopy (kurze Infotexte, Formularbeschriftungen, Buttontexte) im Designprozess häufig vernachlässigt. Die paar Wörter sind ja schnell geschrieben. Also wird das meist noch kurz vor Schluss gemacht, wenn jemand merkt, dass da noch Lorem Ipsum steht. Das Ergebnis sieht dann im schlimmsten Fall so aus:
Vielen ist dabei nicht bewusst, wie stark Sprache den Erfolg ihres Produktes beeinflusst. Beispiel gefällig? Die Hotelsuche von Google: Wer ein Zimmer suchte bekam eine Zeitlang folgende Ansicht:
Die Überschrift zur Terminauswahl lautete «Book a room». Eine Beschriftung, wie man sie häufiger sieht (ähnlich wie «Jetzt kaufen»). Das Problem dabei: User wollen sich erst einmal informieren, ob das gewünschte Hotelzimmer überhaupt frei ist. Es tatsächlich zu buchen, so weit sind sie gedanklich noch lange nicht. Sie werden unsicher und fragen sich «Ist das jetzt schon verbindlich?», «Muss ich das Zimmer gleich bezahlen?»
Google erkannte das Problem und änderte die Überschrift zu «Check availability». Das klingt weniger verbindlich und holt die Leser dort ab, wo sie gerade sind. Die Änderung von nur zwei Wörtern erhöhte die Klickraten um 17 Prozent.
Also: Es braucht auf jeden Fall Texter, um die User Experience konsequent zu verbessern. Im besten Fall sind das UX Writer, die eng mit dem Design- und Entwicklungsteam zusammenarbeiten. Wer den Text eines digitalen Produktes nebenbei eintippt oder erst ganz zum Schluss, hat nur die Hälfte der Hausaufgaben gemacht.
Was also machen wir UX-Writer?
Beim UX-Writing geht es darum, die richtigen Worte zu finden, um den Usern das Leben einfacher zu machen. Das heisst, wir UX Writer
- machen Abläufe klar und sorgen mit Sprache dafür, dass die User dorthin kommen, wo sie hinwollen.
- sorgen dafür, dass die User nicht verwirrt oder frustriert werden – oder im schlimmsten Fall abspringen und das Produkt nicht mehr nutzen.
- sagen den Usern das (und nur das) was sie zu einem spezifischen Zeitpunkt wissen müssen. Dazu müssen wir genau auf den Kontext achten: Was hat der User vor diesem Schritt gemacht? Was weiss er schon? Was kommt danach? Wie fühlt er sich gerade?
Die 3 Prinzipien des UX Writings
UX Writer orientieren sich an drei Grundprinzipien: Alle Texte in einem digitalen Produkt sollen klar (clear), kurz (concise) und hilfreich (useful) sein.
- Clear
den Kontext beachten, kein Jargon - Concise
Nicht unbedingt kurz, aber präzis und effektiv. Jedes Wort soll eine spezielle Aufgabe haben. Hat es das nicht: Weg damit. Unnötige oder redundante Wörter kommen häufig vor, wenn das Design zuerst da war und die Texter/innen eine vorgegebene Box oder Textzeile füllen müssen. - Useful
Die Texte sollen den Usern helfen, ihre Aufgabe abzuschliessen und ihnen Alternativen anbieten.
Dazu kommt eigentlich noch ein viertes Prinzip: Die Konsistenz. Denn auch inkonsistente Begriffe können die User verwirren und ablenken.
Wie man diese Prinzipien beim (um-)texten anwendet, zeigt folgendes Beispiel.
(Quelle: How Words Can Make Your Product Stand Out (Google I/O ’17) – YouTube)
Die Kür: Content Design
Im besten Fall gelingt es uns als UX-Writern sogar, durch Sprache Vertrauen aufzubauen und die User zu binden. Dazu müssen wir die technische Sprache der Entwickler/innen und Fachpersonen so übersetzen, dass die Zielgruppe sie versteht.
Hier kommt das Thema Content Design ins Spiel, sozusagen als i-Tüpfelchen, aber auch das ist wichtig. Es sorgt dafür, dass das Produkt eine Stimme – also einen eigenen Charakter bekommt und für die User fassbarer wird. Die Texte sollen sich anhören, als ob ein Mensch mit den Usern spricht.
Grob gesagt: Die App einer Bundesverwaltung muss anders «klingen», als die einer Gaming-Plattform. Hierbei ist hilfreich, wenn man sich fragt: Wie würde eine Person sprechen, die beim Anbieter der App oder Webseite arbeitet (und von der man sich gerne beraten lässt)? Ist die Person freundlich, seriös, witzig, jung, … Welche Worte würde sie nutzen, um mir verständlich zu erklären, was ich tun soll?
Mit diesen Überlegungen entsteht ein stimmiges Gesamtpaket, das die User führt, ihnen Bedenken nimmt, Fehler vermeidet und sie in ihren Aktionen bestätigt. Das schafft Sympathie und Vertrauen und sorgt dafür, dass die User das Produkt gerne nutzen und reibungslos zum Ziel kommen.