Über die letzten Wochen sind in den Medien viele schwarze Pixel «vergossen» worden zum Thema der anhaltend hohen Temperaturen in Europa und insbesondere in Südeuropa. Satellitengestützte Daten erlauben es uns, ein grossflächiges aber doch recht fein aufgelöstes Bild von der Wärmeverteilung in Schweizer Städten und Regionen zu erhalten.
Die Hitze hat Europa schon länger im Griff. Der Sommer 2023 hat diverse Hitzerekorde gebrochen: Schon der Juni war der fünftwärmste Juni in der Schweiz seit Messbeginn. Und auch der Juli war gemäss SRF bis heute einige Grad wärmer als im Mittel zwischen 1991 und 2020. Und für die nächsten Tage ist eine besonders starke Hitzewelle für die Mittelmeer-Region vorausgesagt.
Hitze- und Kälteinseln
Insbesondere Städte beschäftigen sich schon länger mit der Frage, wie die Hitze für die Menschen möglichst erträglich gestaltet werden kann. Wegen dem in der Regel hohen Versiegelungsgrad des Bodens sind sie speziell betroffen. Los Angeles beispielsweise experimentierte bereits 2018 mit weisser Farbe: Strassen wurden testweise weiss bemalt, um die Hitze zu lindern. Zürich testet auf einem Platz aktuell eine Nebelwolke zur künstlichen Kühlung. Leider ist die Dringlichkeit der Planung des Stadtklimas noch nicht überall angekommen. Auch in Zürich gibt es leider noch vor nicht allzu langer Zeit neu gestaltete Plätze, die noch grosszügig mit Kiesbelag oder (noch schlechter) mit Asphalt bedeckt worden sind. Glücklicherweise ändert sich diese Situation dank planerischem Input, beispielsweise von EBP.
Hitze (und Kühle) aus dem Weltall erkennen?
Vor kurzem habe ich hier anhand des Kakhovka-Damms in Ukraine die Anwendbarkeit und Nützlichkeit der Analyse von Satellitendaten demonstriert. Dabei handelt es sich um das sogenannte Feld der Fernerkundung (Remote Sensing) oder Erdbeobachtung (Earth Observation). Der Blogpost zum Kakhovka-Damm enthält eine kurze Erklärung zu Fernerkundung (in Englisch).
Interessehalber habe ich mich die letzten Tage mittels satellitengestützter Fernerkundungsdaten dem Phänomen von Hitzeinseln bzw. (Urban) Heat Islands und Kälteinseln gewidmet. Ich habe dazu Daten des amerikanischen Satelliten Landsat 8, konkret von dessen Instrumenten OLI und TIRS, verwendet. Mittels eines Skripts, das die Daten unterschiedlicher Bänder von Landsat 8 intelligent kombiniert, können Temperaturwerte angenähert werden («Bänder» ist im Kontext von Fernerkundung die Bezeichnung unterschiedlicher Bereiche des elektromagnetischen Spektrums).
Land Surface Temperature
Konkret berechne ich aus den Daten die sogenannte Land Surface Temperature (LST). Diese bezeichnet die Temperatur, die man fühlen würde, würde man die Erde berühren. Wichtig: Die LST entspricht nicht direkt der meteorologisch gemessenen Lufttemperatur, die in Wetterberichten gezeigt wird. Die beiden Werte korrelieren aber. Wie warm sich das Wetter für uns anfühlt, ist noch einmal eine etwas andere Frage: Die gefühlte Temperatur hängt neben der Lufttemperatur nämlich noch von weiteren Faktoren ab, zum Beispiel von der Windgeschwindigkeit und der Luftfeuchtigkeit. In den folgenden Darstellungen gebe ich deshalb bewusst keine absoluten Werte der Land Surface Temperature an, da diese missverständlich sein können – vor allem, wenn man eine der folgenden Abbildungen ohne diesen Kontext betrachtet.
In den folgenden Abbildungen sind die wie oben beschrieben abgeschätzten Erdoberflächentemperaturen einem Luftbild von Swisstopo gegenübergestellt. In den Darstellungen der Erdoberflächentemperaturen sind dunklere Gebiete kühler, hellere Gebiete wärmer.
St.Gallen
Grüne «Inseln» und Naherholungsgebiete wie der Gübsensee vor den Toren der Stadt, die Drei Weieren und der Menzlenwald heben sich deutlich ab. Etwas weniger klar, aber doch erkennbar etwas kühler als die unmittelbare Umgebung sind der Kantonsschulpark und der Stadtpark. Ausserordentlich warm schätzt der Algorithmus das Kulturzentrum «Lokremise» beim Bahnhof und den benachbarten Parkplatz sowie – vor allem – die Olma-Halle 9 im Osten der Stadt. Letztere «strahlt» richtiggehend.
Kreuzlingen und Konstanz
Tägerwilerwald, Groossweier und Bommerweier bzw. – von Kreuzlingen und Konstanz aus gesehen etwas zentraler – der Seeburgpark (CH) und der Loretto- und Mainauwald (DE) sind kühle Inseln. Kreuzlingen, die Altstadt von Konstanz und Ermatingen leuchten alle etwas heller bzw. wärmer. Diese Gebiete kommen aber nicht an die Temperaturen des Konstanzer Gewerbegebiets und des Max-Planck-Geländes heran. Interessant: Westlich von Kreuzlingen erscheinen Gewächshäuser kühl. Ich bin zuerst von einem Fehler ausgegangen. Offensichtlich gibt es aber tatsächlich entsprechende Kühlungstechnologie.
Alpstein
Die Topographie spiegelt sich auch in der Temperaturentwicklung wider: In der Regel kühler an den Nordhängen des Alpsteins, wärmer an den südlich ausgerichteten Lagen. Die Talstation der Bergbahn in Brülisau mit ihrem grossen Parkplatz und eine Sportanlage in Appenzell sind beide etwas wärmer als ihre Umgebung.
Altenrhein und Bregenz
Während die naturnahen und oft bewaldeten Gebiete Eselschwanz, Rheinmündung, Rohrspitz und Rheinholz angenehmer sind, schlagen in der Region Altenrhein in der Temperaturbilanz vor allem diverse Gewerbegebiete zu Buche.
Rorschach und Arbon
Etwas weiter westlich, zwischen Arbon und Rorschach ist die Situation ähnlich: Vorallem Gewerbegebiete führen das Hitze-Ranking an. Diverse Bachläufe und Tobel wirken kühlend.
Flawil, Gossau und Abtwil
Dito westlich der Stadt St.Gallen: Extensive Gewerbegebiete, beispielsweise im Osten von Gossau und in Flawil, führen zu viel Oberflächenwärme. Auch eine Flawiler Kiesgrube und eine Sportanlage in Gossau erscheinen als deutlich wärmer als der Rest der Region.
Schaffhausen
Sehr klar zu erkennen in der Analyse von Schaffhausen: der Rhein und diverse Streifen von Ufervegetation und angrenzende Wälder. Der bewaldete Cholfirst und auch die Wälder westlich von Schaffhausen verschaffen als Naherholungsgebiete Kühle. In Schaffhausen selbst sind wiederum Gewerbegebiete und Teile der recht dichten Altstadt Wärmeinseln.
Ganze Nordostschweiz
Im folgenden Bild ist die ganze Nordostschweiz abgebildet. Eine Version mit besserer Auflösung kann hier heruntergeladen werden (10 Megabyte gross). Achtung: Die dunkeln Flecken, die vor allem in den Alpen auftreten, rühren von Wolken her. Zusätzlich habe ich alle oben gezeigten Bilder der Land Surface Temperature mit und ohne Labels auch noch eingefügt. So können Sie sich diese auch ohne den Vergleichsschieber im Detail anschauen. Mit einem Klick auf ein Bild öffnet sich die Galerie und Sie können sich durchblättern.
Viel Spass beim Erkunden und vor allem viel Erfolg beim Identifizieren kühler Oasen!
Hallo Ralph
Wieder mal einen sehr interessanten Artikel. Das auch, weil sich die Städte recht bedeckt halten, wie es so aussieht, wenn die Sonne ihr Werk getan hat.
Weil es mich als in Zürich wohnhaft möchte ich gerne wissen, wie es dort so aussieht. Da wäre zu deinem Artikel ein „How to make“ sehr nett, wie es auch SRF Data macht. Es kann aber auch sein, dass EBP dies aus kommerziellen Interessen lieber nicht publizieren möchte. Auch dafür hätte ich Verständnis.
Wie auch immer ich freue mich auf deine nächste Publikation.
Liebe Grüsse
Peter
Vielen Dank, Peter! Zürich (und grosse Teile von ZH) kannst Du im relativ hoch aufgelösten Bild direkt anschauen. Du kannst das Bild hier herunterladen: https://digital.ebp.ch/land-surface-temp/Land-Surface-Temperature-Eastern-Switzerland-high-res.jpg.
Gehe ich richtig in der Annahme, dass die Aufnahmen nachts gemacht wurden?
Vermutlich könnte man ja sonst Rückstrahlende Flächen mit speichernden Flächen verwechseln.
Lieber Reto
Der Satellit, der die hier verwendeten Daten liefert, (Landsat 8) gehört zur Familie der sonnen-synchronen Satelliten (https://en.wikipedia.org/wiki/Sun-synchronous_orbit). Er umrundet die Erde alle 99 Minuten. Hier stehen etwas mehr Informationen dazu: https://www.usgs.gov/faqs/what-are-acquisition-schedules-landsat-satellites.
Sonnen-synchrone Satelliten überfliegen ein gegebenes Gebiet, zum Beispiel die Schweiz, immer zur ungefähr selben Uhrzeit (in UTC). Bei Landsat (wie meines Wissens bei (fast?) allen anderen Satelliten auf einer sonnen-synchronen Umlaufbahn) ist das für das hier gezeigte Gebiet immer circa 10:09 bis 10:16 UTC, das heisst im Sommer etwa um 12 Uhr lokale Zeit und im Winter etwa um 11 Uhr lokale Zeit. Da haben sich Flächen bereits aufgeheizt, allerdings in der Regel noch nicht zur maximal im Tagesgang erreichbaren Temperatur.
Die Unterscheidung zwischen Rückstrahlung / Reflexion und abgestrahlter (thermischer, d.h. langwelliger) Strahlung erfolgt durch die Betrachtung ausgewählter Bereiche des elektromagnetischen Spektrums.