Im ersten Teil dieser Mini-Blogserie habe ich gezeigt, woher GNSS-Daten (umgangssprachlich GPS-Daten) stammen und wie sich diese in spezialisierten Tracking-Studien gezielt erfassen lassen. Heute nehmen wir solch eine Studie genauer unter die Lupe und zeigen, wie sich mit moderner Tracking-Technologie und passenden Befragungen Verhaltensexperimente durchführen lassen, die komplexe Fragen der Verkehrs- und Stadtplanung beantworten.
Die Studie «E-Biking in Switzerland» (EBIS) ist ein Gemeinschaftsprojekt des Bundesamts für Energie (BFE), der Kantone Aargau, Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Zürich sowie der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel (WWZ) und des Instituts für Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Zürich (IVT). Sie verfolgte erstmals schweizweit die folgenden drei Ziele:
- über mehrere Wochen hinweg Bewegungsdaten von Velo- und E-Bike-Fahrenden zu erheben,
- in einem randomisierten Kontrollversuch zu testen, ob ein monetäres Signal für externe Kosten Autofahrten in E-Bike-Kilometer verlagert,
- und das daraus abgeleitete Substitutionspotenzial verlässlich in CO₂-Einsparungen zu übersetzen.
Binnen weniger Wochen nahmen rund 4’000 Personen teil, sammelten 324’000 Personentage und zeichneten über eine halbe Million Velofahrten auf. Das ist die bislang grösste derartige Datenerhebung in der Schweiz!
Ein Blick in den Maschinenraum
Die folgende Abbildung zeigt eine schematische Übersicht über das Studiendesign.

Rekrutierung: Um die vergleichsweise grosse Anzahl Teilnehmender zu erreichen, wurden fünf Kanäle kombiniert: persönliche Einladungen über Pro Velo-Mailings, gezielte Social-Media-Anzeigen, amtliche Briefe an S-Pedelec-Besitzerinnen und -Besitzer (basierend auf dem Fahrzeughalterregister), Newsletter von Velohändlern, sowie Flyer an Veloabstellplätzen. Durch definierte Quoten und deren kontinuierliches Monitoring wurde sichergestellt, dass sowohl eine breite räumliche Repräsentation als auch die Repräsentation sämtlicher relevanter Velo- und Mobilitätstypen gegeben waren.
Baseline-Erhebung: Nach einer ersten Online-Umfrage, die mittels Qualtrics umgesetzt worden war, wurden die Teilnehmenden eingeladen, eine entsprechende Tracking-App auf ihren Smartphones zu installieren. Diese zeichnete sämtliche Wege vier Wochen lang passiv auf (vgl. Phase 1 in der Abbildung oben).
Zwischenbefragung: Nach Phase 1 erhielten alle Teilnehmenden erneut eine web-basierte Umfrage. Der Fragebogen beinhaltete Kartenansichten ausgewählter, eigener gefahrener Wege und stellte die Frage, welches Verkehrsmittel vor dem Besitz des (E-)Bikes für genau diesen Trip gewählt worden wäre. Dieses retrospektive Modul verknüpft erstmals reale Bewegungsprofile mit individuellen Modal-Shift-Angaben.
Randomisierter Kontrollversuch (engl. RCT): Für Phase 2 qualifizierten sich jene Teilnehmenden, die sowohl ein Auto als auch ein E-Bike besitzen. Diese wurden in eine Treatment- oder Kontrollgruppe eingeteilt, wobei Haushaltsmitglieder gemeinsam zugeteilt wurden, um sogenannte «Spillover»-Effekte zu verhindern. Das RCT-Experiment basierte auf folgenden Komponenten:
- Budget-Logik: Aus den in Phase 1 verursachten externen Kosten, also CO₂-, Lärm-, Unfall- und Gesundheitsfolgekosten (basierend auf Werten des Bundesamts für Raumentwicklung ARE), wurde ein persönliches Wochenbudget berechnet.
- Intervention: In der Treatment-Gruppe zog das System nach jeder Fahrt die berechneten Kosten vom Budget ab. Wer sparsamer unterwegs war, durfte den Rest behalten. Damit wurde ein möglichst realitätsnahes Preissystem simuliert.
- Feedback: Teilnehmende beider Gruppen erhielten wöchentliche Mails mit einem personalisierten Mobilitätsdashboard. In der Kontrollgruppe beschränkte sich dieses auf eine Übersicht der genutzten Verkehrsmittel und Distanzen der Vorwoche (gestrichelter Bereich in Abbildung 2). Die Treatment-Gruppe erhielt zusätzlich einen detaillierten Bericht zu den entstandenen externen Kosten sowie zur Buchführung des persönlichen Budgets.

Und wozu das Ganze?
Weil der Kostenhebel zufällig auf nur die Hälfte der Auto-/E-Bike-Besitzerinnen und -besitzer angewandt wurde, lässt sich der entsprechende Effekt auf die Verkehrsmittelwahl quantifizieren: Die Auswertungen deuten auf eine Reduktion der externen Kosten um rund sieben Prozent hin, vor allem durch weniger Auto-Kilometer und zusätzliche Velofahrten. Die Antworten aus der Zwischenbefragung zeigen ausserdem, welche konkreten Auto- und ÖV-Wege sich durch E-Bike-Fahrten ersetzen lassen. Aus diesem Substitutionsverhalten können wertvolle Erkenntnisse abgeleitet werden, die als Basis für zielgerichtete Planungs-Massnahmen dienen. Schliesslich dient der EBIS-Datensatz in der Verkehrsmodellierung als Datengrundlage für vielseitige Analysen und als Kalibrierbasis: Verkehrsmodelle können damit realistische Geschwindigkeiten, Distanzen und Bewegungsmuster für verschiedene Velotypen abbilden.
Lust auf mehr?
Das EBIS-Projekt zeigt, wie basierend auf GNSS-Tracking-Technologie und zielgerichteten Studiendesigns anspruchsvolle verkehrs- und stadtplanerische Fragestellungen beantwortet werden können. Haben wir Ihr Interesse geweckt? – Weitere spannende Studien finden Sie hier:
MOBIS-Studie: Schweizer Studie, die den COVID-19-Ausbruch direkt gemessen hat.
BostonWalks Studie: Studie im Grossraum Boston, die explizit marginalisierte Gruppen berücksichtigt.
TimeUse+ Studie: Schweizer Studie, die Mobilitäts- und Zeitnutzungsverhalten kombiniert erfasst.
Und übrigens: All diese Studien wurden als öffentliche Forschungsarbeiten ausgeführt. Die Datensätze sind entsprechend frei verfügbar und können unter den geltenden Datenschutzrichtlinien für Ihre Anwendung genutzt werden. Sollte nichts Passendes dabei sein, begleitet EBP Sie gerne bei der Konzipierung, Durchführung und Auswertung Ihrer eigenen Tracking-Studie.