Ohne harte Fakten bleibt jeder Veloweg ein Bauchentscheid und jede Taktverdichtung ein Ratespiel. GNSS-Tracking, besser bekannt als GPS-Tracking, schliesst diese Wissenslücke, indem es Bewegungsmuster in hoher räumlich-zeitlicher Auflösung liefert. Dieser Beitrag zeigt, welche Datenquellen es gibt, welche Technik dahintersteckt und wie eine Tracking-Studie geplant und durchgeführt werden kann.
Daten sind das Grundgerüst jeder Verkehrs- und Stadtplanung. Ob ein neuer Bus-Takt funktioniert, ob ein Veloweg Lücken schliesst oder ob wir bis 2050 klimaneutral unterwegs sein können: All das lässt sich nur beantworten, wenn das tatsächliche Mobilitätsverhalten quantifiziert und analysiert werden kann. Relevante Datenquellen hierfür gibt es viele: Mobilfunkdaten zeigen, wo sich Menschen ballen; Bluetooth-Sensoren zählen zurückgelegte Wege in Bahnhofshallen; Wi-Fi-Tracking erfasst Bewegungen innerhalb grosser Gebäude.
Doch keine dieser Quellen liefert so konsistente und detailreiche Wegketten wie satelliten-basierte Ortung. Der Fachbegriff hierfür lautet «Global Navigation Satellite System» kurz «GNSS». Im Volksmund wird typischerweise auf das amerikanische Global Positioning System bzw. GPS verwiesen. GNSS-Daten sind Zeitreihen von Koordinaten. Mit diesen kann sichtbar gemacht werden, wann eine Person oder ein Fahrzeug von wo nach wo unterwegs ist. Aus den Zeitreihen lassen sich im Idealfall komplette Mobilitätstagebücher ableiten, also nicht nur einzelne Wege, sondern Wegeketten inklusive der Aufenthalte zwischen den Wegen. Diese Daten dienen dann als Basis für operative und strategische Fragen der Mobilitäts- und Stadtplanung.
Welche Quellen gibt es?
Technisch gesehen braucht es hierfür einen GNSS-Receiver. Solche Receiver sind mittlerweile in allen gängigen Smartphones aber auch in Fahrzeugen (z.B. PKWs oder Sharing-Scooter) verbaut. Man kann grob zwischen den folgenden Quellen unterscheiden:
- Crowdsourced aus Fitness-Apps: Millionen Läufe und Radtouren werden gespeichert, z.B. durch Strava (siehe zum Beispiel unsere Studie für den Kanton Zürich).
- Crowdsourced aus Navigations- oder Mobility-as-a-Service- bzw. MaaS-Apps: Wer sich per App routen lässt, liefert GNSS-Spuren in Echtzeit.
- Floating-Car-Data (FCD) bzw. OEM-Telematik: Fahrzeuge senden Positions- und Geschwindigkeitsdaten an den Fahrzeug-Hersteller (siehe zum Beispiel unsere Studie für den Kanton Luzern).
- Haushalts- und Personenbefragungen: Erhebungen wie der Mikrozensus Mobilität und Verkehr (MZMV) (Pilotierung 2025, siehe unsere Studie für das Bundesamt für Statistik) liefern über entsprechende Apps detaillierte Wegeketten zu einem bestimmten Stichtag.
- Gezielte GNSS-Tracking-Studien: Kommunen bzw. Gemeinden und andere Gemeinwesen, Unternehmen oder Forschungsteams setzen Apps ein, um ganz spezifische Fragen zu beantworten.
Beide letzteren Datenquellen sind für die Mobilitäts- und Stadtplanung speziell hervorzuheben: Hier werden Daten direkt vom Analysten oder der Analystin erhoben und nicht über dritte Organisationen bezogen. Dadurch entfällt ein Grossteil der Datenschutzproblematik und die zur Verfügung stehenden rohen GNSS-Daten lassen sich mit vielen Kontextdaten, z.B. sozio-demographischen Indikatoren oder Wetterdaten, kombinieren und analysieren.
Die Technik im Hintergrund
Im Kern stützt sich jede GNSS-Tracking-Studie auf drei miteinander verzahnten technischen Komponenten:
- Tracking-App oder -SDK: Mehrere Anbieter liefern heute schlüsselfertige oder White-Label-Lösungen speziell zum Durchführen von Mobilitätsstudien. Zu den bekanntesten zählen Motiontag, Trivector und RSG. Mithilfe von Machine-Learning-Algorithmen zerlegen diese Apps den kontinuierlichen GNSS-Datenstrom zunächst in einzelne Etappen (Wege und Aufenthalte) und klassifizieren anschliessend die jeweiligen Verkehrsmodi. Moderne Lösungen erkennen bis um die 10 Verkehrsmodi (Fussweg, Velo, Auto, Bus, Zug, etc.) mit einer durchschnittlichen Gesamtgenauigkeit von über 95%.
- Webbasiertes Umfragetool: Die Apps erfassen zwar lückenlos Positionsdaten, doch für die Erfassung von Kontext- und soziodemografischen Daten der Teilnehmenden der Erhebung braucht es eine Lösung, die die Einbettung verschiedener Datenformate, Randomisierungen oder Experiment-Designs abbildet. Bewährte Plattformen sind etwa Qualtrics oder LimeSurvey, die sich per API ansteuern lassen.
- Skalierbare IT-Infrastruktur: Eine Serverlandschaft führt alle Datenströme zusammen.
- Datenbanken zur Speicherung von GNSS-Daten, Umfrageantworten und Metadaten
- APIs für den Datenaustausch zwischen App, Umfragetool und Analyse-Pipelines
- Automatisierte ETL-, Monitoring- und Benachrichtigungsprozesse, die den Studienbetrieb steuern und Teilnehmende unterstützend begleiten.
 

Zur tatsächlichen Datenerhebung…
Eine App allein erzeugt noch keine hochwertigen Mobilitätsdaten. Entscheidend ist, wie die Studie aufgebaut ist. Der typische Ablauf gliedert sich in vier Phasen.

Zuerst muss eine passende Stichprobe gefunden werden. Öffentliche Untersuchungen, etwa der Schweizer MZMV oder Forschungsprojekte mit öffentlichem Interesse können auf Zufallsziehungen aus dem eidgenössischen Bevölkerungsregister zurückgreifen. In Forschungs- und Praxisprojekten kommen zusätzlich Newsletter von Verbänden, gezielt geschaltete Werbung oder professionelle Panelanbieter zum Einsatz.
Potenzielle Teilnehmende erhalten einen Brief mit QR-Code oder eine E-Mail und gelangen damit zum webbasierten Fragebogen. Dieser dient zuallererst dem Einholen der Zustimmung der Teilnehmenden bezüglich der Datenerhebung und -bearbeitung. Anschliessend werden meist soziodemografische Merkmale sowie themenspezifische Kontextvariablen (z.B. Fahrzeugverfügbarkeit oder Einstellungen zum Klimaschutz) erhoben. Erfüllen die Teilnehmenden die definierten Teilnahmekriterien (z.B. keine Anstellung als Berufschaffeur bzw. -chauffeurin), erhalten sie entsprechende Anweisungen zum Installieren und Aktivieren der Tracking-App.
Ist die App installiert, zeichnet sie die Wege grösstenteils passiv im Hintergrund auf. Je nach Studiendesign werden die Nutzerinnen und Nutzer gebeten, Fahrten zu verifizieren oder kurze Zwischenbefragungen auszufüllen. Hier gilt es, den response burden niedrig zu halten, da ein zu hoher Aufwand nachweislich zum Abbruch durch die Teilnehmenden führt. Auch die Studiendauer hat hier einen grossen Einfluss. Studien reichen von einzelnen Tagen (z.B. MZMV) bis zu mehreren Monaten (z.B. MOBIS), je nach Fragestellung.
Über den gesamten Erhebungszeitraum sorgt ein automatisiertes Kommunikationssystem dafür, dass die Teilnehmenden «am Ball» bleiben: E-Mails oder Push-Nachrichten informieren regelmässig über den persönlichen Fortschritt, erinnern an offene Validierungen und liefern z.B. individuelle Wochenberichte mit Gamification. Sach- oder Geldprämien sind ein zentrales Anreizinstrument und müssen zum erwarteten response burden passen. Höhere Beträge führen nicht proportional zu mehr Bindung. Forschungsarbeiten zeigen, dass kontinuierliche Rückmeldungen, Erinnerungen und transparenter Austausch die Verbleibquoten oft stärker erhöhen als eine hohe Schlussprämie.
Die Mischung macht’s
Tracking-Studien müssen sorgfältig geplant werden: Längere Beobachtungszeiträume erhöhen den Erkenntnisgewinn, steigern aber Kosten und response burden. Entscheidend für eine reibungsarme User Experience sind eine intuitiv bedienbare App, nahtlose Verknüpfung mit dem Befragungstool, klare Kommunikationskanäle bei Problemen und gegebenenfalls Gamification-Ansätze. Gelingt dieses Zusammenspiel, lassen sich komplexe Studien wie z.B. randomisierte Feldexperimente mit vertretbarem Aufwand durchführen. Genau dort entfaltet GNSS-basiertes Tracking sein volles Potenzial.
In meinem nächsten Beitrag veranschauliche ich anhand konkreter Projekte, wie sich diese Prinzipien in der Praxis bewähren und hochspezialisierte Fragestellungen der Mobilitäts- und Stadtplanung präzise beantworten können.
Haben Sie eine Planungsfrage, die Ihre bestehenden Daten nicht beantworten können? Suchen Sie eine solide Datengrundlage für Ihr Verkehrsmodell, Ihre CO₂-Bilanz oder Ihre Infrastruktur-Priorisierung? Wir begleiten Sie gerne von der Machbarkeit über die Datenanalyse bis zum operationalisierten Dashboard. Ich freue mich auf Ihre Kontaktaufnahme.