Parkplatzdaten der Stadt Zürich waren für fünf Tage öffentlich. Nun sind sie nicht mehr verfügbar. Was ist geschehen?
Parkplatzdaten: Teil der Smart City-Basisinfrastruktur
Am 9. November hat die Stadt Zürich einen Datensatz des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements mit den Positionen sämtlicher öffentlich zugänglicher Parkfelder veröffentlicht, mitsamt ergänzenden Attributen zur Art des Parkfelds und der maximal zulässigen Parkzeit. Dieser Datensatz ist aus verschiedenen Gründen interessant und seine Veröffentlichung unbedingt richtig: Es gibt immer wieder politische Diskussion um die Parkraum-Versorgung der Innenstadt und von verschiedenen Quartieren. Mit Daten zu diesem Thema können diese Diskussionen versachlicht werden. Andererseits nahm gestern der Projektleiter der Smart City-Strategie der Stadt Zürich seine Arbeit auf. Die Parkfelder der Stadt sind noch nicht mit smarter Technologie ausgerüstet, die es erlauben würde, die Belegung zu registrieren. Es ist aber klar, dass dies eine lohnende Stossrichtung im Rahmen der Smart City-Strategie wäre, um zum Beispiel den Suchverkehr und somit Lärm, Umweltbeeinträchtigungen und vergeudete Zeit zu minimieren. Die Publikation der Parkplatzdaten kann vor diesem Hintergrund auch als ein kleiner Baustein an der Basisinfrastruktur der Stadt gelesen werden. Diese besteht bekanntlich nicht nur aus Strassen und Tramgleisen sondern immer mehr auch aus Daten und Services.
Many eyes
Der Datensatz wurde auch von den Medien aufgenommen. Das Tiefbauamt der Stadt Zürich veröffentlichte eine auf den publizierten Daten beruhende Analyse und die Stadt stellte eine 3D-Visualisierung des Parkplatzangebots zur Verfügung.
Soweit so gut. Gestern Abend dann erregte dieser Tweet von @opendatazurich und ein weiterer aus dem Umfeld von @opendatazurich meine Aufmerksamkeit:
Was war geschehen? Die Veröffentlichung der Daten führte dazu, dass plötzlich sehr viel mehr Augenpaare darauf geschaut haben. Leute mit Lokalkenntnissen – etwa rund um die eigene Wohnung oder in der Umgebung des Arbeitsorts – haben sich die Daten genau angeschaut und sind auf Unstimmigkeiten gestossen.
Die Reaktion
Die Situation und die Reaktion der Stadtverwaltung sind im Beitrag von Tele Züri gut zusammengefasst (2:32 Minuten). Im Beitrag werden lediglich zwei Unstimmigkeiten genannt, einmal im Zusammenhang mit einer sich dynamisch entwickelnden Baustellensituation, einmal im Zusammenhang mit einem nur privat und nicht öffentlich zugänglichen Parkareal. Diese Unstimmigkeiten haben dazu geführt, dass die Stadtverwaltung die Parkplatzdaten zur Prüfung und Überarbeitung offline genommen hat.
Erkenntnisse
Einige Erkenntnisse, die sich aus diesem Vorkommnis ableiten lassen:
- Praktisch jeder Datensatz weist Mängel auf. Das Potenzial für Fehler und Ungenauigkeiten steigt unter anderem mit dem Umfang der Daten und mit der Dynamik eines Phänomens. Zu letzterem: Zum Beispiel wird ein Datensatz der Baustellen der Schweiz sehr viel fehleranfälliger sein als ein Datensatz der Flughafenpisten. Beides – grosser Umfang und potenziell hohe Dynamik – sind beim Parkplatzdatensatz der Stadt Zürich gegeben.
- Wenn ein Datensatz veröffentlicht wird, vervielfacht sich die Zahl der Augenpaare, die diesen Datensatz sichten von in der Regel ein paar wenigen städtischen Mitarbeitenden zu einigen Dutzend bis einigen hundert oder auch mal einigen tausend Personen.
- Es ist unumgänglich, dass eine grössere Anzahl von Personen eher Fehler oder Auffälligkeiten in den Daten findet als eine relativ kleine Gruppe auch sehr gut ausgebildeter Personen. Diese Wahrscheinlichkeit steigt dadurch noch mehr, dass die grosse Gruppe zusammengenommen über annähernd flächendeckende Lokalkenntnisse und auch ‚Lokalinteressen‘ verfügt, die der kleinen Gruppe von städtischen Mitarbeitenden (richtigerweise) abgehen.
- Niemand macht gerne Fehler. Organisationen und Personen sind beim Auftreten eines Fehlers gleich versucht, die fehlerhafte Aussage zurückzunehmen und zu berichtigen. Vor diesem Hintergrund ist die Reaktion der Stadt Zürich verständlich, auch wenn ich sie bedauerlich finde (dazu gleich mehr).
Manche dieser Punkte lassen die Chancen und Risiken von Crowdsourcing für die öffentliche Verwaltung anklingen, die wir in diesem Blog bereits im Jahr 2012 diskutiert haben. Crowdsourcing (also das Übertragen von Arbeiten an eine Gruppe von Leuten) ist in vielerlei Hinsicht bezüglich Open Government Data (OGD) die andere Seite der Medaille:
Diese Punkte zu Crowdsourcing skizzieren denn auch einen anderen Weg zum Umgang mit den fehlerhaften Parkplatzdaten.
Ein anderer Weg
Ich freue mich darauf, wenn das Tiefbau- und Entsorgungsdepartement die Parkplatzdaten überprüft hat und diese dann wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen wird. Dennoch wünsche ich mir für den nächsten Vorfall eine andere Reaktion. Und es ist meines Erachtens wahrscheinlich, dass wieder einmal etwas Ähnliches passiert, denn wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Ich schlage den folgenden 6-Punkte-Plan vor für erfolgreiche OGD-Feedback-Mechanismen:
- Die Stadt lässt die fehlerbehafteten Daten aufgeschaltet. Sie versieht diese an den Orten, wo sie einsehbar sind, mit einem Disclaimer, der genau den aktuellen Kenntnisstand erklärt.
- Über das über die Jahre hinweg aufgebaute Community-Management erreicht die Stadt die typischen Nutzerinnen und Nutzer der Daten und kann diese direkt ansprechen. In der Community-Kultur sind allen Akteuren die Rechte und Pflichten rund um Open Data bekannt. Weist die Stadt also auf die Fehler in den Daten hin, trägt die Community diesem Umstand in ihren Aktivitäten Rechnung.
- Die Stadtverwaltung lädt als nächstes die Community ein, zusammen die Daten zu verbessern. Das OGD-Portal der Stadtverwaltung hält für diese Aufgabe Funktionen und Schnittstellen bereit. Die verwaltungsinternen Abläufe sind ebenfalls bereits geregelt.
- Die Community ist sich der Schwierigkeit der Pflege von Daten sehr wohl bewusst. Die Stadt hat dank Community Management via @opendatazurich viel Goodwill aufgebaut. Die Community wird folglich keinesfalls etwa hämisch auf die Fehler der Verwaltung zeigen, sondern sich mit Enthusiasmus dafür einsetzen, die Daten schnellstmöglich zu verbessern. Stadtverwaltung und Community arbeiten Hand in Hand. Die Community entwirft Werkzeuge und setzt freiwillige Arbeitsstunden ein zur Verbesserung der Daten. Geübte OpenStreetMap-Mapperinnen und -Mapper könnten hier zum Beispiel eine gewichtige Rolle spielen.
- Der Stadt kommen die Lokalkenntnisse engagierter Datenspezialistinnen und -spezialisten zugute, sie behält aber die Hoheit darüber, welche Korrekturen in die Daten einfliessen.
- Die Haltung der Community und die Zusammenarbeit zwischen ihr und der Verwaltung steuert die Tonalität in den Medien und der Öffentlichkeit. Das Potenzial von Open Government Data unter Einbezug der Öffentlichkeit wird augenscheinlich.
2013 habe ich im Rahmen des europäischen Forschungsprogramms ENERGIC an der Universität Zürich einen Vortrag gehalten, der einige dieser Gedanken bereits vorwegnahm. Ich habe damals (aus der Sichtweise von Crowdsourcing bzw. Volunteered Geographic Information/VGI) insbesondere auf den sich aufdrängenden Kreislauf zwischen Open Government Data und Crowdsoucring hingewiesen:
Das Schliessen dieses Kreislaufs muss ein Fokus unserer Anstrengungen im Open Data-Bereich in der Schweiz sein.
Was fehlt?
Wie kommen Open Data-Anbieter auf diesen vielversprechenderen Weg? Ich sehe im Beispiel von Zürich im Moment drei Punkte, die es noch umzusetzen gilt:
- Es braucht auch in der innovativen Stadt Zürich vermutlich da und dort noch ein Umdenken, mehr Mut und Vertrauen sowie etwas mehr Data Literacy, also Kenntnisse über Charakteristika von Daten und über die Prozesse rund um Daten, vor allem bezüglich des Open-Ökosystems.
- Das OGD-Portal https://data.stadt-zuerich.ch muss um einfach zu nutzende Feedback-Möglichkeiten erweitert werden, die der Öffentlichkeit das Melden von Fehlern bzw. das Einsenden von Korrekturen sowohl auf Layer-Ebene als auch auf Einzelobjekt-Ebene ermöglichen.
- Die Stadtverwaltung muss solche Meldungen durch die zuständige Stelle einfach weiterverarbeiten können inklusive, auf Wunsch, Rückmeldung an die meldende Person (Issue Tracking-System). Die erfolgreiche App Züri wie Neu verfügt bereits über diese Mechanismen, allerdings mit einem Fokus auf anfassbare Stadtinfrastruktur, nicht auf Daten.
Diese Änderung bringen die Stadt Zürich näher zu einem innovativen OGD-Crowdsourcing-Ökosystem mit allen ökonomischen und gesellschaftlichen Vorteilen, die dieses mit sich bringt. Packen wir’s an!
Deklaration: Ich bearbeite aktuell mit der Stadt Zürich ein Projekt im Bereich Open Data. Dieser Text reflektiert meine persönlichen Ansichten.