Geographie („Erdbeschreibung“) beschäftigt sich mit Raum. Spätestens seit Michael Hermanns und Heiri Leutholds Arbeiten (sotomo) ist aber klar, dass diese Räume nicht immer geographisch im Sinn von „physisch“ sein müssen: Wir können zum Beispiel auch Merkmals-Räume, topologische Räume (Netzwerke, wie zum Beispiel Strassennetze oder Entwässerungssyteme) oder virtuelle Räume analysieren. Letzteres habe ich mir in diesem Blogpost vorgenommen.
Stephan Heuel (@ping13) und ich (@rastrau) sind beide schon länger auf Twitter. Wir schätzen die schnelle, unkomplizierte Art von Twitter als Plattform zur Kommunikation und zum Austausch von Informationen. Wir beide verfolgen auch zahlreiche GIS-Blogs und Twitter ist die schnellere, interaktivere Ergänzung dazu. Erfreulicherweise sind immer mehr Kolleginnen und Kollegen aus der GIS-Welt auch auf Twitter vertreten. Ein systematischer Überblick fehlte (zumindest mir) aber. Das habe ich zum Anlass genommen, die meines Wissens erste
Vermessung der Schweizer GIS-Szene 2.0
vorzunehmen. Dazu habe ich aus der Schar der Leute, denen ich auf Twitter folge, eine Liste erstellt mit Schweizer Twitter-Accounts, die sich mit Themen rund um GIS, räumliche Analyse und Kartographie auseinandersetzen. Etwas angereichert habe ich die Leute, indem ich auf Twitter noch um weitere GIS-bezogene Accounts nachgefragt habe. So erhielt ich meine circa 35 sogenannten „seed users„, also Ausgangspunkte.
Diese subjektive Auswahl erfüllte mein Ziel einer Vermessung der Schweizer GIS-Szene 2.0 aber natürlich noch nicht! Ich habe dann ausgehend von dieser Liste einen Ansatz umgesetzt, mir unbekannte Accounts mit denselben Eigenschaften zu entdecken: Unter Entlehnung von Know How aus einem privaten Projekt, habe ich für die seed users diejenigen Accounts ermittelt, denen sie folgen und die ihnen folgen. Alle so entdeckten neuen Twitter-Accounts, welche mindestens vier Beziehungen mit meiner Gruppe von seed users hatten, habe ich anschliessend manuell geprüft. „Vier Beziehungen“ heisst hier beispielsweise: ein bestimmter Account folgt zwei seed users und zwei seed users folgen ihm. Bei der Prüfung habe ich aufgrund des Standorts und der Beschreibung („Twitter Bio“) eines Accounts (und in Zweifelsfällen aufgrund abgesetzter Tweets) entschieden, ob er der Schweizer GIS-Szene 2.0 zugeordnet werden kann oder nicht. Nach der Prüfung hat sich die Anzahl auf immerhin 74 Schweizer-GIS-Accounts verdoppelt!
Erkenntnisse
Hintergrund der Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer
Die erste Abbildung zeigt eine Wordcloud der Begriffe aus den „Twitter-Biographien“ der gefundenen GIS-Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer. Die üblichen Verdächtigen – gis, geospatial, schweiz, geoinformation, developer, geographer, data, geomatik/géomatique – sind natürlich vertreten. Daneben ist auch die „Open“-Community enthalten mit open, openstreetmap, qgis.
Wer folgt wem und wer bildet zusammen eine Community?
Die nächste Abbildung zeigt das Netzwerk, das die 74 Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer zusammen aufspannen. Mit Software für die Analyse sozialer Netzwerke habe ich die Knoten Gruppen (Communities) zuweisen lassen. Die verwendete Methode hat eine Zufallskomponente, aber die meisten der hier gezeigten Gruppen bleiben ziemlich stabil bei wiederholter Berechnung.
Die Knoten sind zudem gemäss der Anzahl ihrer „Branchen-Follower“ skaliert. Das bedeutet, ich habe für die Skalierung nicht die Anzahl Gesamt-Follower benutzt, sondern die Anzahl Follower im unten abgebildeten Netzwerk. Ansonsten wären manche Accounts, zum Beispiel jener des Bundesamts für Statistik und des Bundesamts für Umwelt deutlich grösser.
Sprachgrenzen aufgehoben?
Die nächste Abbildungen zeigt die Account-Sprachen, welche die Nutzerinnen und Nutzer angegeben haben. Die Knoten sind auf dieselbe Art wie oben skaliert. Die Netzwerkverbindungen erhalten jeweils die Farbe desjenigen Knotens, von dem die Verbindung ausgeht (also vom User, der einem anderen User folgt). Wie man sieht, ist die grösste Fraktion „Englisch“, was aber wohl auch der Standard bei der Account-Eröffnung ist. Spannender ist das Verhältnis von Deutsch und Französisch: Dieses entspricht ziemlich gut der tatsächlichen Grösse der Sprachgruppen von etwas mehr als 3 : 1 – für mich Zeichen, dass mein Ansatz mir unbekannte Accounts zu entdecken, funktioniert hat. Es ist auch erfreulich zu sehen, wieviele der Verbindungen über den virtuellen Röstigraben hinweg erfolgen.
Virtuelle Communities versus Zusammengehörigkeiten im echten Leben
In der nächsten Abbildung habe ich mal versucht, die einzelnen Firmen, Behörden und Organisationen, welche hinter diesen Accounts verborgen sind, zu ermitteln. Wie man sieht ergibt sich ein schöner Mix von:
- Privaten: Ernst Basler + Partner, Camptocamp, Esri
- Bildungsinstitutionen: Uni Zürich, Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), Hochschule Rapperswil (HSR)
- Kantonen und Departementen: ZH, GL, BS, Swisstopo, BAFU, MeteoSchweiz, BFS, ASTRA
- Vereinen und Bewegungen: Free and open source software (FOSS) und Open Data
Spannend ist nun der Vergleich mit der zweiten Abbildung oben, den Communities. Ausser FHNW und Esri, welche eigene, eng verflochtene Communities bilden, verlaufen die Community-Grenzen quer durch Firmen, Institutionen und Interessensgemeinschaften: Zeichen einer guten Durchmischung im Web 2.0!
Erfolgsfaktoren?
Ich habe mal – oberflächlich – nach Erfolgsfaktoren gesucht: Was braucht es, um viele Follower in der eigenen Branche zu sammeln? Gängig ist die Vorstellung, dass man auf Twitter sehr aktiv sein muss oder dass man eine gewisse Zeit dabei sein muss, um viele Follower anzuziehen. Wie die untenstehenden Scatterplots zeigen, erklären diese Faktoren aber bestenfalls einen kleinen Teil der Anziehung eines Twitter-Users.
Es gibt Accounts wie jene des Swiss Geoportals und von Cédric Moullet, welche sehr obenaus schwingen, ohne sich ansonsten allzu sehr abzuheben. Und es gibt diverse Accounts, welche erst seit circa einem Jahr aktiv sind, sich aber in den vorderen Rängen bei den „Branchen-Followern“ platzieren.
Nichts zieht Follower aber wohl mehr an, als interessante Inhalte zu vertwittern und auch online ein guter Gesprächspartner zu sein.
Fazit
Ich habe mit meiner Methode eine lebendige GIS-Szene Schweiz im virtuellen Raum gefunden. Circa 70 Nutzerinnen und Nutzer tummeln sich mehr oder weniger aktiv auf Twitter. Diese Personen haben sehr unterschiedliche Hintergründe, arbeiten bei verschiedenen Firmen, Departementen und Hochschulen. Schaut man sich aber die Communities an, welche sich aus dem Netzwerk selbst ergeben, manifestieren sich Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern über alle organisatorischen und auch Sprach-Grenzen hinweg. Für mich ist das Zeichen eines lebendigen und interessierten Austauschs unter Gleichgesinnten.
Sind Sie auch Teil der Schweizer GIS-Szene und auf Twitter aktiv, können sich in dieser „Vermessung“ aber nicht finden? Kontaktieren Sie mich per Mail oder auf Twitter, und ich schaue, dass Sie bei einer allfälligen Aktualisierung mit dabei sind. Natürlich freue ich mich auch generell über Ihre Rückmeldung und Verbesserungsvorschläge.
Übrigens: alle hier vorgestellten Grafiken dürfen Sie gerne weiterverwenden unter Beachtung der Creative-Commons-By-Lizenz (also unter Verweis auf den Urheber).
Hallo Ralph,
ein wirklich toller Beitrag – ich habe ihn mit großem Interesse gelesen! Ist für mich ein Musterbeispiel einer Social Media Analyse. Meine Anregung für die nächsten Schritte (vielleicht sogar schon unternommen?) wäre, einmal zu analysieren welche Themen sich über welche Communities wie verbreiten.
Nochmals vielen Dank für die schöne Analyse und beste Grüße aus Kranzberg
Gerd Buziek
Hallo Gerd
Vielen herzlichen Dank für Deine Rückmeldung und Deine Anregungen! Peter Jäger von Esri-Schweiz meinte ja, man sollte so etwas auch mal für Deutschland machen (http://twitter.com/jaegerpeter59/status/301393905159659520).
Die inhaltliche Analyse könnte tatsächlich neben einigem „Twitter-Rauschen“ auch noch interessante Erkenntnisse liefern. Ich behalte das mal im Hinterkopf.
Nochmals vielen Dank und viele Grüsse!
Hallo Ralph
Wäre spannend, diese Analyse jetzt nach dem 1. GeoBeer zu wiederholen. Meine Hypothese ist, dass sich einige (lokale) Brücken gebildet haben und die Vernetzung dichter wurde.
Eine inhaltliche Analyse zur Nachrichtendiffusion wäre spannend, jedoch sicherlich sehr aufwändig.